Lakritz spaltet die Meinungen wie kaum eine andere Süßigkeit. Während die einen begeistert zugreifen, rümpfen andere angewidert die Nase. Doch gerade diese Gegensätzlichkeit macht Lakritz so faszinierend. Der Geschmack ist nur die Oberfläche – dahinter verbergen sich Geschichte, Tradition, Gesundheit und ein erstaunliches kulturelles Gefälle.
Was ist Lakritz und wie entsteht es?
Die botanische Grundlage
Die Grundlage für Lakritz ist die Wurzel der Pflanze Glycyrrhiza glabra. Sie wächst vor allem in Südeuropa, Vorderasien und Teilen Chinas. Die Ernte erfolgt meist im dritten oder vierten Jahr nach der Aussaat, sobald die Wurzeln einen hohen Anteil an Glycyrrhizin gebildet haben – dem natürlichen Süßstoff des Süßholzes.
Herstellungsschritte im Detail
Nach der Ernte werden die Wurzeln getrocknet, zerkleinert und mit Wasser ausgekocht. Die so gewonnene Flüssigkeit wird eingedickt, bis ein schwarzer, aromatischer Sirup entsteht. Je nach Rezeptur werden weitere Zutaten wie Mehl, Stärke, Salmiaksalz, Zucker oder Aromastoffe hinzugefügt. Das Ergebnis ist eine Paste, die geformt, getrocknet und häufig mit einer dünnen Wachsschicht überzogen wird, um die typische Konsistenz zu erhalten.
Warum manche Lakritz lieben – und andere hassen
Lakritz ist eines der besten Beispiele für erlerntes Geschmacksempfinden. Während in Ländern wie Finnland, Schweden oder den Niederlanden schon Kinder mit Salmiak-Lakritz aufwachsen, kennen viele Menschen im Süden Europas den Geschmack gar nicht – oder lehnen ihn intuitiv ab. Der Gaumen erkennt die Bitterstoffe im Süßholz als „ungewöhnlich“ oder sogar „medizinisch“, was instinktiv mit Abneigung verbunden sein kann.
Sensorik: eine Reise durch das Aromenprofil
Der Geschmack von Lakritz ist komplex: süß, bitter, erdig, leicht salzig und mit einer intensiven Nachwirkung. Besonders bei salzigen oder ammoniakhaltigen Sorten entsteht ein regelrechter „Gaumenkick“, den viele als Herausforderung empfinden – vergleichbar mit sehr scharfem Chili oder Blauschimmelkäse. Dieses intensive Geschmackserlebnis sorgt für eine Art sensorischen Reiz, der bei regelmäßiger Gewöhnung sogar eine Form von „kulinarischer Abhängigkeit“ entwickeln kann.
Die medizinische Bedeutung von Süßholz
Historische Heilpflanze
Schon im alten Ägypten wurde Lakritz nicht nur gegessen, sondern gezielt als Heilmittel eingesetzt. Süßholz galt als beruhigend bei Atemwegserkrankungen, magenfreundlich und entzündungshemmend. Auch Hippokrates und Hildegard von Bingen empfahlen das Kraut bei Magenleiden und zur Stärkung des Körpers.
Moderne Forschung und Anwendungsgebiete
Aktuelle Studien beschäftigen sich mit antiviralen und immunmodulierenden Eigenschaften von Glycyrrhizin. In der Naturheilkunde wird Lakritz heute eingesetzt bei:
- Magengeschwüren und Gastritis
- Erkältungen und Hustenreiz
- Entzündlichen Hautkrankheiten
- Stressbedingten Magenbeschwerden
Wichtig dabei: Nur die deglycyrrhizinierte Variante (DGL) eignet sich für dauerhafte Einnahme – sie enthält den Wirkstoff Glycyrrhizin nicht in riskanter Dosis.
Risiko bei Überkonsum
Übermäßiger Konsum kann zu einem Anstieg des Blutdrucks, Wassereinlagerungen und Herzrhythmusstörungen führen. In extremen Fällen wurden sogar Krankenhauseinweisungen dokumentiert – insbesondere bei älteren Menschen oder Bluthochdruckpatienten. Die Faustregel lautet: nicht mehr als 50–100 Gramm starkes Lakritz pro Tag.
Kulturelle Vielfalt rund um das schwarze Gold
Unterschiede im Lakritzverständnis
In Skandinavien gilt Lakritz als kulturelles Erbe. In Island wird es mit Chili, Mango oder Schokolade kombiniert. In Dänemark ist Salmiak fester Bestandteil der nationalen Snackkultur. In Japan findet Lakritz sogar in Kosmetikprodukten und Zahnpasta Verwendung.
Deutschland ist ein Grenzfall: Während im Norden Lakritz stark verbreitet ist, gilt es im Süden oft als Apothekensüßigkeit – und fristet dort eher ein Nischendasein.
Popkultur und Lakritz
Auch in Film, Musik und Mode taucht Lakritz immer wieder auf. In Finnland gibt es eine eigene Lakritzmesse, in Schweden Fernsehshows über Lakritz-Challenges. In deutschen Serien wie „Tatort“ oder „Stromberg“ wird Lakritz mit Charakteren assoziiert, die eine besondere, oft kantige Note haben – der Geschmack spiegelt hier den Menschen-Typus.
Psychologie des Genusses
Lakritz als emotionale Erfahrung
Der Geschmackssinn ist eng mit dem limbischen System im Gehirn verknüpft – also dem Zentrum für Emotionen und Erinnerungen. Der erste Biss in ein Lakritzrad kann Kindheitserinnerungen, Nostalgie oder auch Abwehrreaktionen auslösen – je nach Prägung.
Warum sich Liebhaber von Lakritz als „anders“ empfinden
Viele Lakritzfans erleben sich als Teil einer besonderen Subkultur. Der ungewöhnliche Geschmack steht für Individualität, Andersartigkeit und Charakter. Nicht umsonst bezeichnet man Lakritzliebhaber oft augenzwinkernd als „harte Nüsse“, die sich vom Mainstream-Geschmack bewusst abgrenzen.
Fazit: Eine Süßigkeit mit Tiefgang
Lakritz ist mehr als ein Geschmack – es ist ein Spiegel kultureller Identität, ein uraltes Heilmittel, ein Genussmittel mit Charakter. Wer sich auf das Abenteuer einlässt entdeckt eine Welt voller Gegensätze: süß und bitter, heilend und riskant, vertraut und fremd. Genau darin liegt seine Faszination.
Begriffe rund um Lakritz und Süßholz
Glycyrrhizin: Der Hauptwirkstoff in der Süßholzwurzel. Glycyrrhizin ist ein natürliches Saponin mit einer intensiven Süße – etwa 50-Mal süßer als Zucker. Es wirkt entzündungshemmend, schleimlösend und antiviral, kann bei Überdosierung jedoch den Blutdruck erhöhen.
Süßholz: (Glycyrrhiza glabra): Die Pflanze, aus deren Wurzel der Lakritzextrakt gewonnen wird. Sie gehört zur Familie der Hülsenfrüchtler und gedeiht bevorzugt in mediterranen und asiatischen Regionen. Die Wurzel enthält neben Glycyrrhizin auch Flavonoide, ätherische Öle und sekundäre Pflanzenstoffe.
Salmiak (Ammoniumchlorid): Ein kristallines Salz, das in vielen nordischen Lakritzsorten verwendet wird. Es verleiht dem Produkt eine scharfe, salzige Note und ist für den typischen Geschmack von Salzlakritz verantwortlich. In hohen Dosen kann Salmiak reizend auf die Schleimhäute wirken.
DGL (Deglycyrrhizinierte Lakritze): Eine Form von Lakritze, bei der der Wirkstoff Glycyrrhizin weitgehend entfernt wurde. Diese Variante wird in der Naturheilkunde verwendet, da sie magenfreundlich ist und keine blutdrucksteigernden Effekte verursacht.
Lakritzkonfekt: Eine Mischung aus Lakritz und buntem Zuckermasse-Konfekt – meist in Form von kleinen Würfeln oder Rollen. Bekanntestes Beispiel ist das britische „Liquorice Allsorts“, das auch in Deutschland unter verschiedenen Marken verkauft wird.
Lakritzin: Ein veralteter Begriff für den Extrakt aus der Süßholzwurzel. Heute wird meist einfach von „Lakritzextrakt“ oder „Süßholzwurzelextrakt“ gesprochen.
Salzige Lakritze: Auch als „Salmiaklakritze“ bekannt. Diese Spezialität ist besonders in Finnland, Schweden, Norwegen und den Niederlanden beliebt. Sie enthält neben Lakritzextrakt auch Salmiaksalz und oft ein deutlich kräftigeres Aroma.
Lakritzlikör: Ein alkoholisches Getränk, das Lakritzextrakt als Hauptgeschmacksträger enthält. Vor allem in Skandinavien und Norddeutschland beliebt – dort wird Lakritzlikör sowohl pur als auch in Cocktails verwendet.
Lakritzpulver: Getrockneter und gemahlener Lakritzextrakt, der als Gewürz oder zur Verfeinerung von Desserts, Gebäck oder Fleischgerichten dient. Besonders in der gehobenen nordischen Küche beliebt.
Lakritzöl: Ein aromatisches Öl, das durch Wasserdampfdestillation aus der Süßholzwurzel gewonnen wird. Es wird in der Lebensmittelindustrie, aber auch in der Kosmetik- und Pharmaherstellung eingesetzt.